Heute ist es (nicht) einfacher – Beobachtungen zu „älteren“ und „jüngeren“ Migrant/innen in Deutschland

Heute ist es (nicht) einfacher – Beobachtungen zu „älteren“ und „jüngeren“ Migrant/innen in Deutschland

Im Rahmen des MIMY-Projektes hat das ILS Team auch Fokusgruppen mit Neuzu-wanderern und mit Migrant/innen, die schon vor längerer Zeit zugewandert sind, durchgeführt. In Fokusgruppen diskutieren mehrere Personen zu einem bestimmten Thema – in diesem Fall Migration und Integration in Dortmund. Bei der Gruppe der Neuzuwanderer handelt es sich um Geflüchtete aus Syrien, die vor ca. 5 bis 6 Jah-ren nach Europa gekommen sind; bei den „älteren Migrant/innen“ um Personen, die schon länger in Deutschland leben.

Hier möchte ich darüber berichten, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten mir zwischen den beiden Gruppen in Bezug auf Schwierigkeiten, Herausforderungen oder Lebensstil aufgefallen sind.

Zunächst die Gemeinsamkeiten: In beiden Gruppen wurde von Diskriminierung be-richtet. Die Beispiele dazu bezogen sich häufig auf die Schule, z.B. wurden die Teil-nehmer/innen oder ihre Kinder an deutschen Schulen aufgrund schlechter Deutsch-kenntnisse oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes wie schwarze Haare oder Kopftuch durch Lehrer oder Mitschüler diskriminiert. Eine Teilnehmerin, die seit mehr als zwanzig Jahren in Deutschland lebt, erwähnte, dass sie in der zehnten Klasse diskriminiert wurde. Sie war dadurch so frustriert, dass sie die Schule ohne Abschluss verließ. Auch aus der Gruppe der Geflüchteten gab es solche Aussagen. Eine Teilnehmerin gab an, dass ihre Kinder aufgrund von Mobbing Schwierigkeiten haben, Beziehungen zu Mitschülern aufzubauen. Auch bei den Erfahrungen mit Äm-tern und Behörden ähnelten sich die Aussagen der beiden Gruppen. Es wurde von schlechter Behandlung durch Mitarbeiter/innen berichtet und davon, dass ihre Anfra-gen im Vergleich zu denen von Deutschen vernachlässigt wurden.

Und nun zu den Unterschieden, die mir zwischen den beiden Gruppen aufgefallen sind. Die älteren Zuwanderer erzählten von Schwierigkeiten, mit denen sie vor vielen Jahren konfrontiert waren. Insbesondere betraf das das Fehlen von Integrations-strukturen. Es fehlten Sprachschulen, staatliche Integrationsangebote und Vereine, die Migrant/innen bei bürokratischen Verfahren unterstützen oder Aktivitäten für die-se organisieren. Eine Syrerin, die ich erst vor kurzem kennengelernt habe und die schon seit 18 Jahren in Dortmund lebt, sagte mir, dass sie neidisch auf die neuen Flüchtlinge ist, weil diese Aufmerksamkeit und Unterstützung wie Deutschkurse be-kommen. Sie hätte sich damals auch solche Angebote gewünscht, um zum Beispiel andere Geflüchtete aus ihrem Land in einem Verein zu treffen und dort Kaffee zu trinken. Für sie war das größte Leid bei ihrer Ankunft, das Gefühl der Entfremdung und des Alleinseins, weil damals kaum syrische Zuwanderer in Dortmund lebten.

Das heißt aber nicht, dass sich die neuen Flüchtlinge nicht entfremdet fühlen. Das bestätigen auch die Aussagen der Teilnehmer/innen der Fokusgruppen, die ebenfalls solche Gefühle äußerten. Das kann ich persönlich bestätigen, weil ich auch vor weni-gen Jahren als Flüchtling nach Deutschland gekommen bin. Trotz der vielen Flücht-linge verlässt uns das Gefühl des Fremdseins nicht. Vielleicht liegt das daran, dass wir wissen, dass wir das Land, aus dem wir geflohen sind, nicht besuchen können. Das ist auch ein Unterschied zu den älteren Zuwanderern, die ihre Urlaube häufig in den Heimatländern verbringen. Ein anderer Punkt, den ich noch nennen möchte, ist dass Migrant/innen, die schon länger in Deutschland leben, sich manchmal nicht sicher fühlen. So sagte mir die Mutter einer Freundin, die seit 23 Jahren in Dortmund lebt, dass es dafür viele Grün-de gebe. Aber ein Grund sei auch die Bedrohung durch Rechtsextreme. Dadurch ist es manchmal auch schwer, die neue Heimat zu lieben.

Insgesamt war der Vergleich der Perspektiven für mich als „neue“ Migrantin interes-sant. Einerseits erkenne ich viele Gemeinsamkeiten zur Gruppe der älteren Zuwan-derer. Andererseits gibt es aber auch einige Unterschiede. So gibt es mittlerweile viel mehr Angebote für Migrant/innen und Geflüchtete, so dass die Integration heute ein-facher ist. Die Unterschiede haben meiner Meinung nach damit zu tun, dass Ge-flüchtete ganz andere Gründe dafür haben, ihre Heimat zu verlassen als andere Mig-rant/innen. Letztere können ihre Ausreise planen, um zum Beispiel eine Arbeit oder Ausbildung zu suchen und um vielleicht nach ein paar Jahren in das Heimatland zu-rückzukehren. Flüchtlinge haben diese Wahlmöglichkeit nicht: sie suchen nach der Möglichkeit, woanders sicher zu leben und sie wissen nicht, ob oder wann sie in ihre Heimat zurückkehren. Durch diese Unterschiede ändern sich nicht nur die staatlichen Verfahren sondern auch die Lebensbedingungen hier in Deutschland.

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The authorSherin Ibesh